Das falsche Spiegelbild (German Edition) by Valeska Réon

Autor:Valeska Réon [Réon, Valeska]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
veröffentlicht: 2014-07-29T22:00:00+00:00

8. Ein Mädel aus dem Ruhrpott

»Man muss zeitlebens so sehen können,

wie man als Kind die Welt sah.«

Henri Matisse

»Mein John ist ein Kriegssouvenir«, lachte Doris Clark und strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht.

Sie war eine jener Frauen, die bereits frühmorgens ungeschminkt gut aussahen. So ganz stimmte ihre Aussage allerdings nicht, denn als sie den Texaner John kennenlernte, war der Krieg schon lange vorbei. Bis Ende der Sechzigerjahre war er als Leutnant in Wiesbaden stationiert gewesen, doch als er wieder in seine Heimat zurückbeordert werden sollte, hatte er dazu überhaupt keine Lust.

»Hier ist alles so sauber und ordentlich«, sagte er zu seinem Freund Alex, der als englischer Soldat in Dortmund stationiert war, »irgendwie konnte ich die Krauts von Anfang an gut leiden!«

»Dann bleib doch einfach hier und suche dir einen Job als Zivilist«, hatte Alex gemeint. »Ich habe auch nicht vor, bis an mein Lebensende beim Militär zu bleiben.«

Man schrieb das Jahr 1969, und Neil Armstrong war gerade dabei, als erster Mensch den Mond zu betreten.

»Siehst du«, flachste John, da waren wir Amis mal wieder schneller als alle anderen!«

Es war eine laue Sommernacht an jenem 21. Juli, und er saß mit Alex in der Krone am Markt, dem Stammhaus der Kronenbrauerei, wo sie sich mit den anderen Gästen die Mondlandung im Fernsehen ansahen. Seinerzeit noch in schwarz-weiß und fernab der Großleinwandspektakel, wie sie viele Jahre später auf dem Friedensplatz präsentiert werden sollten, dafür aber in nicht minder bunter und fröhlicher Gesellschaft.

»Die Krauts in Dortmund sind besonders nett«, meinte John. »Ich glaube, du hast recht, ich sollte wohl wirklich hierbleiben.«

So quittierte er seinen Dienst bei der Army und suchte sich einen Job in Dortmund, und auch jetzt merkte er wieder, dass dieser Schlag Mensch ihm sehr lag: bodenständig, auf den ersten Blick vielleicht ein wenig introvertiert, aber bei genauerem Hinsehen mit einer unerschütterlichen und staubtrockenen Alltagskomik ausgestattet. Für ihn als Texaner alles Eigenschaften, die er von klein auf kannte, weshalb er sich hier auf Anhieb wohlfühlte.

John überlegte, ob er sich bei einer der vielen damals noch aktiven Zechen bewerben sollte, doch er erinnerte sich noch allzu gut an seinen Großvater Nathanael, der über dreißig Jahre lang in der Monticello Thermo Mine in Dallas geschuftet hatte, um dann letztendlich an einer Staublunge zu sterben. So machte er sich auf die Suche nach anderen Jobs und fand eine Anstellung als Elektriker in einem kleinen Dortmunder Familienunternehmen, in dem auch die aus Dortmund-Wambel stammende Doris arbeitete.

Für Doris, die auf dem Sommerfest ihrer Firma den Kuchen austeilte, war es Liebe auf den ersten Blick. Als John sie um ein Stück Buttercremetorte bat und ihr dabei tief in die Augen sah, war es, als bliebe die Welt für einige Sekunden stehen. Auf seinem Gesicht breitete sich sein berühmtes texanisches Tausend-Watt-Lächeln aus, und in diesem Moment war es um sie geschehen. Geflirtet hatte er zwar schon lange mit Doris, aber erst jetzt war bei ihr der Knoten geplatzt. Der Abend endete in seinem Junggesellenappartement in Dortmund-Hörde, und Doris schwebte nach dieser Nacht, die angefüllt war mit einer Riesenportion Leidenschaft sowie der restlichen Buttercremetorte, wie auf Wolken.

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